ULM
20 Jahre danach: Mordfall in Ulm bleibt ein Rätsel
Am 4. November 1990 haben Passanten auf dem Ulmer Münsterplatz die Leiche von Rafael Blumenstock gefunden – grausam hingerichtet und verstümmelt.
HANS-ULI MAYER | 03.11.2010 16 0 0 0 MEINUNGEN
Die Gedenktafel auf dem Ulmer Münsterplatz, die an de Mord an Rafael Blumenstock erinnert.Foto: Archiv
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Die Gedenktafel auf dem Ulmer Münsterplatz, die an de Mord an Rafael Blumenstock erinnert.
Mord ist das einzige Verbrechen im Strafgesetzbuch, das keiner Verjährung unterliegt. Ein Täter könnte also auch heute noch oder in weiteren 20 Jahren bestraft werden, sollte man ihn ergreifen können. Doch genau darin liegt das Problem. Seit 20 Jahren ist der Fall ungeklärt und damit der einzige offene Mordfall in der Stadt Ulm – zudem ein ganz grausamer, weil die Begleitumstände seinerzeit für großes Unbehagen in der Bevölkerung gesorgt hatten. Mitten in der Stadt war ein junger, gerademal 28 Jahre alt gewordener Mann getötet worden, geradezu hingerichtet, was die Spekulationen über die Hintergründe ins Unermessliche hatten steigen lassen.
„Man darf die Hoffnung nicht aufgeben“, sagt dazu der Sprecher der Staatsanwaltschaft Ulm, Michael Bischofberger, aktiv an einer möglichen Aufklärung arbeiten, könne die Polizei allerdings nicht mehr. Dennoch werde die Akte nicht geschlossen und auch nicht in den Keller oder das Archiv gestellt. „Sie liegt dauerhaft im Zimmer des zuständigen Dezernenten“, sagt Bischofberger – zu jeder Zeit griffbereit.
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http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_u ... 544,699477
1990-Mord an Rafael Blumenstock
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Re: 1990-Mord an Rafael Blumenstock
03.11.2015 (Aktualisiert 08:02 Uhr)
Ludger Möllers
Darum ist der Mord vor dem Münster ungeklärt
Vor 25 Jahren wurde in Ulm der Student Rafael Blumenstock Opfer eines grausamen Tötungsdelikts – Es ist bis heute ungeklärt
Ulmer MünsterBild vergrößern
Ulmer Münster. Foto: Bernd Weißbrod/Archiv Bernd Weißbrod/Archiv
Auf dem Münsterplatz in Ulm erinnert eine Gedenkplatte an Rafael Blumenstock: Vor 25 Jahren, am 4. November 1990, wurde der 28-jBild vergrößern
Auf dem Münsterplatz in Ulm erinnert eine Gedenkplatte an Rafael Blumenstock: Vor 25 Jahren, am 4. November 1990, wurde der 28-jährige Student hier ermordet. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. Felix Kaestle
Der Kriminalbeamte Herbert Kling (56) gehörte im Mordfall Rafael Blumenstock zur Sonderkommission. Da der Fall bis heute nicht aBild vergrößern
Der Kriminalbeamte Herbert Kling (56) gehörte im Mordfall Rafael Blumenstock zur Sonderkommission. Da der Fall bis heute nicht aufgeklärt ist, beschäftigt sich Kling immer wieder mit den Akten. Archiv
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Ulm sz Müllmänner finden an einem ruhigen Sonntagmorgen, es ist der 4.November 1990, auf dem Ulmer Münsterplatz die völlig entstellte Leiche des Musikstudenten Rafael Blumenstock. Bis heute ist der brutale Mord ungeklärt. Allein die Erinnerung bringt die Donaustadt in Wallung: „Der Mord an Rafael Blumenstock ist eine schwärende Wunde der Stadt Ulm“, beschreibt Jürgen Widmer, Redakteur der „Schwäbischen Zeitung“, der Blumenstock persönlich gekannt hat, „wir waren alle damals ungeheuer schockiert.“
Die kleine Steinplatte auf dem Münsterplatz, die heute an das Opfer erinnert, lässt den Betrachter die Dramatik der Tat nicht ansatzweise erahnen. Denn die Leiche des 28-jährigen Mannes, die an jenem November-Sonntag zwischen Blumen-kübeln und einem geparkten Auto in der Nähe des heutigen Kaufhauses Abt entdeckt wird, stellt die Polizei vor eine schreckliche Aufgabe. Das Gesicht ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Die Ermittler zählen am ganzen Körper 21 Stich- und Schnittverletzungen. Dabei wäre jeder der drei Messerstiche ins Herz für sich tödlich gewesen. In der Gerichtsmedizin werden Spuren von massiver Gewalt wie Fußtritte oder Faustschläge festgestellt. Auch die Genitalien des Opfers sind verletzt, die Nasenspitze abgeschnitten. Der Musikstudent ist durch die Misshandlungen so entstellt, dass er erst von seinen Eltern identifiziert werden kann. Es braucht einen Tag, bis klar ist, wer der Ermordete ist.
Es waren mehrere Täter
Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Das einzige Indiz, den Teilabdruck einer Handfläche, stellt die Polizei an einem Auto sicher, das unweit des Tatorts geparkt war. Unklar ist, ob dieses Indiz etwas mit der Tat zu tun hat. Das „extrem brutale Vorgehen der Täter“ schockt auch erfahrene Kripobeamte. Schnell ist ihnen klar, dass hier mehrere Täter am Werk gewesen sein müssen.
Doch welches Motiv steckt hinter der Tat? „Motive führen zum Täter“, sagt Herbert Kling (56), heute Leiter des Kriminaldauerdienstes im Polizeipräsidium Ulm und seinerzeit Ermittler im Mordfall Blumenstock.
Bilder zeigen einen sympathischen jungen Mann mit dunklen, welligen Haaren. „Der Rafael war ein bunter Vogel in Ulm“, erinnert sich der Journalist Widmer, „er fiel in der Stadt einfach auf.“ Der Musikstudent, er verdiente sich als Klavierlehrer Geld für sein Studium, habe mit den Geschlechterrollen gespielt „und trat auch schon mal mit grell geschminkten Lippen auf.“ Die Frage in einem Facebook-Forum vor einigen Tagen, ob sich jemand an Blumenstock erinnert, bestätigt Widmers Einschätzung und löst eine wahre Flut der positiven Emotionen aus: „War immer gut drauf“, „der hat immer gesungen im Bus und auf der Straße.“
Blumenstock galt aber auch als Einzelgänger, der oft nachts alleine unterwegs war: „Er saß immer in der Kneipe nebenan, meistens mit Kopfhörer, für sich allein“, schreibt ein Facebook-User.
Der Student konnte bei seinen Streifzügen spontan auf andere fremde Menschen zugehen: „Er hat sie angesprochen und angemacht“, vermutet der Kripobeamte Kling, „in dieser Nacht ist er einfach an die Falschen geraten.“ Der Erste Kriminalhauptkommissar glaubt, dass das Motiv für den Mord an dem 28-jährigen Studenten in dessen unkonventionellem Verhalten zu suchen sein könnte. Aber: „Wir bewegen uns hier im Bereich der Spekulation.“ Vermutungen zum möglichen Tathintergrund tauchen auf: Stammt einer der Fußtritte nicht von einem Springerstiefel? Die rechtsradikale Szene ist in jener Zeit in Ulm aktiv. Oder handelt es sich um einen Raubmord? „Kann man ausschließen“, hält der Polizist Kling dagegen. Eine Tat in der Schwulenszene, der das Opfer zugerechnet wird? „Die Stadt war damals miefig, kleinbürgerlich, eng: kein Vergleich zu heute“, sagt der Journalist Widmer. Ein seltsames Klima habe geherrscht: „Schon allein die Erwähnung der Schwulenbewegung in Ulm mit dem Namen Schwulm löste Entrüstungsstürme aus.“
Viel ist über die letzten Stunden Blumenstocks nicht bekannt. Im Nachtlokal Aquarium besucht er am Abend vor seinem Tod ein Konzert des Sängers Percy Sledge („When a man loves a woman“). Danach verliert sich seine Spur.
Vermutlich sind mehrere Männer an dem Mord beteiligt, weil eine Wohnmobil-Touristin am Münsterplatz – damals fahren dort noch Autos – am Morgen des 4. November 1990 immer wieder Schreie hört. Als sie aus dem Fenster schaut, sieht sie drei Männer, die in einem Sportwagen wegfahren. Ob diese Männer etwas mit der Tat zu tun haben, ist nach wie vor unklar. Ein anderer Zeuge nennt der Polizei zwei jüngere Männer, die an jenem Morgen an einem roten Auto auf dem Münsterplatz stehen – just, als das spätere Opfer durch die Platzgasse in Richtung Münsterplatz läuft.
Das Entsetzen in der Bevölkerung über die Tat ist groß, zumal nie gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass Rafael Blumenstock wegen seiner angeblichen sexuellen Neigung sterben musste. Bürger trauern und ziehen in einem Protestmarsch durch Ulm. Auf dem Ulmer Hauptfriedhof hält Pfarrer Paul Dieterich, ein Freund der Familie, die Grabrede: „Uns hat das Entsetzen darüber gepackt, auf welch abscheuliche Weise ein Mensch zu Tode gebracht wurde, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte“, bekennt der Theologe: „Da packt uns eine tiefe Scham darüber, dass so etwas in unserer Stadt möglich wurde.“
Wenig verwertbare Spuren
Die Soko „Münsterplatz“ mit 40 Beamten prüft alle Spuren und geht selbst dem kleinsten Hinweis nach, doch die Täter bleiben letztlich im Dunkeln. „Die Aufklärung scheiterte bisher unter anderem auch daran, dass wir sehr wenig objektiv verwertbares Spurenmaterial zu diesem Mordfall zur Verfügung haben“, begründet Ermittler Kling.
Jahre später. Auch Hinweise eines Jugendbetreuers führen nicht weiter. Gewaltbereite Jugendliche hätten ihm die Tat angekündigt, sagt der Sozialarbeiter: Blumenstock werde einen Denkzettel bekommen. Doch die Polizei kann den jungen Leuten nichts nachweisen.
Die schwärende Wunde der Stadt bricht von Zeit zu Zeit auf. Als der Münsterplatz neu gestaltet wird, fällt die Entscheidung für eine Bodenplatte. Passanten sollen nicht achtlos vorbeigehen. Die mit Rafael Blumenstocks Vater abgesprochene Inschrift „Du lebst in unserer Klage, im Herzen stirbst du nicht“ erinnert an den Mord.
Sprung ins Jahr 2000. Die Kriminaltechnik hat sich entwickelt. DNA-Spuren, die an der Leiche gesichert worden waren, aber nicht vom Toten stammten, werden mit neuen Methoden ausgewertet. „Aber wir wissen nicht, von wem die DNA-Partikel stammen“, warnt der Kriminalist Kling, „sie können, aber sie müssen nicht vom Täter stammen.“
Die Polizei nimmt den Fall wieder ganz von vorne auf. Wer auch nur entfernt zum Kreis der Verdächtigen gehört hatte, wird erneut überprüft. 180 Männer müssen sich dem Gentest stellen. Aber auch der genetische Fingerabdruck führt nicht zu den Mördern von 1990.
Bei der Staatsanwaltschaft Ulm liegen die Blumenstock-Akten bis heute griffbereit. Denn Mord verjährt nicht. Die möglichen DNA-Beweisstücke werden immer routinemäßig mit neuen Spuren abgeglichen: „Die DNA könnte sich immer noch als Mosaiksteinchen bei der Suche nach den Tätern erweisen“, sagt ein Sprecher.
Doch einen Rückschlag müssen Familie, Freunde und die Ulmer Ermittler erst jüngst hinnehmen. Der Fall Blumenstock gehört nicht zu den Fällen, die die Polizei wieder aufnehmen will: „Die Polizeiführung hat entschieden, nur Fälle mit Aussicht auf Erfolg nochmals zu öffnen“, sagt der Ulmer Polizeisprecher Wolfgang Jürgens. Und der Mordfall Blumenstock sei aus heutiger Sicht ausermittelt. Aber Ermittler Kling glaubt daran, dass irgendwann einer der Täter oder Mitwisser sich der Polizei offenbart: „Man hat automatisch die Bilder vor sich, die Bilder vom Opfer, die Bilder der Angehörigen.“ Niemand könne mit der Macht dieser Bilder leben, ohne irgendwann zu reden. „Das gilt für Kriminalisten wie für Täter oder Zeugen.“
Ungelöste Mordfälle im Südwesten
Nicht alle Verbrechen können die Ermittler kurz nach der Tat lösen - manchmal läuft bei Tötungsdelikten alle Polizeiarbeit ins Leere. Aber ungelöste Morde beschäftigen die Polizei noch nach Jahren und Jahrzehnten.
Hier einige spektakuläre Fälle:
Der Laichinger Blumenhändler: Der Mordfall „Laichinger Blumenhändler“ ist seit mehr als vier Jahren ungelöst. Im Oktober 2011 war ein 44-jähriger Blumenhändler in der Nähe seines Geschäfts in Laichingen bei Ulm mit mehreren Schüssen ermordet worden. Die Sonderkommission „Blume“ aus Ulm war zeitweise mit 50 Beamten im Einsatz. Ende 2011 war eine Tatverdächtige aus dem familiären Umfeld des Opfers wieder freigelassen worden. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die Tat aus persönlichen Motiven aus der Verwandtschaft begangen wurde, hieß bei der Einstellung der Ermittlungen im Jahr 2013. Anhaltspunkte für einen rassistischen oder politisch motivierten Hintergrund hätten sich nicht ergeben. Insgesamt seien bei den Ermittlungen mehr als 600 Vernehmungen, auch in der Türkei und Frankreich, geführt und deutlich mehr als 100 Spuren überprüft worden. Das Opfer war kurdischstämmig.
Maria Bögerl: Die Bankiersgattin wird im Mai 2010 aus ihrem Haus in Heidenheim entführt. Ein bisher Unbekannter fordert 300 000 Euro Lösegeld. Die Geldübergabe an einer Autobahn scheitert; am 3. Juni wird Maria Bögerl tot in einem Waldstück aufgefunden. Die Ermittler treten auf der Stelle. Sowohl die Fahndung im Fernsehen als auch ein Massengentest bringt die Ermittler nicht weiter. Auch die Hinweise eines dubiosen Zeugen im Februar diesen Jahres bringen nichts Neues.
Anja Aichele: Der Mord an der 17-jährigen Anja Aichele aus Stuttgart-Bad Cannstatt beschäftigt die Ermittler seit fast drei Jahrzehnten. Die Schülerin wird am 27. März 1987 gegen 22.00 Uhr auf dem Nachhauseweg von einem Jugendtreffen erwürgt. Drei Zeugen geben unabhängig voneinander an, sie hätten zu dieser Zeit einen Schrei im Weinberg unterhalb des Wohngebiets Muckensturm gehört. Ihre Leiche wird drei Tage später gefunden - vergraben in einem Beet. 60 Ermittler sammeln mehr als 4000 Hinweise - ohne Erfolg. Im Jahr 2008 und 2012 werden zum Teil wegen neuer Spuren rund 1200 Männer getestet - ohne Ergebnis.
Christine Piller: Die 19-Jährige aus Aglasterhausen (Neckar-Odenwald-Kreis) wird am 22. März 1986 erstochen in einem Wald bei Gundelsheim (Kreis Heilbronn) gefunden. Anfang des Jahres keimt nochmals Hoffnung auf, als Ermittler von neuen Ansatzpunkten berichten. Auch diese Untersuchungen verlaufen im Sande. Der Täter ist bis heute nicht gefasst.
Doppelmord in Mannheim: Ein mysteriöser Doppelmord in Mannheim beschäftigt die dortigen Ermittler seit über zwei Jahren. Am 13. Mai 2013 werden ein 45 Jahre alter Mann aus Italien und seine 42-jährige thailändische Lebensgefährtin im Stadtteil Kirschgartshausen erschossen. Rund 400 Spuren, die zum Teil auch in die organisierte Kriminalität führen, werden ohne Ergebnis verfolgt. „Wir wissen weiterhin nichts Neues“, erklärt ein Sprecher. „Aber ad acta gelegt werden solchen Fälle nie.“
http://www.schwaebische.de/region/baden ... 34355.html
Ludger Möllers
Darum ist der Mord vor dem Münster ungeklärt
Vor 25 Jahren wurde in Ulm der Student Rafael Blumenstock Opfer eines grausamen Tötungsdelikts – Es ist bis heute ungeklärt
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Ulmer Münster. Foto: Bernd Weißbrod/Archiv Bernd Weißbrod/Archiv
Auf dem Münsterplatz in Ulm erinnert eine Gedenkplatte an Rafael Blumenstock: Vor 25 Jahren, am 4. November 1990, wurde der 28-jBild vergrößern
Auf dem Münsterplatz in Ulm erinnert eine Gedenkplatte an Rafael Blumenstock: Vor 25 Jahren, am 4. November 1990, wurde der 28-jährige Student hier ermordet. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt. Felix Kaestle
Der Kriminalbeamte Herbert Kling (56) gehörte im Mordfall Rafael Blumenstock zur Sonderkommission. Da der Fall bis heute nicht aBild vergrößern
Der Kriminalbeamte Herbert Kling (56) gehörte im Mordfall Rafael Blumenstock zur Sonderkommission. Da der Fall bis heute nicht aufgeklärt ist, beschäftigt sich Kling immer wieder mit den Akten. Archiv
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Ulm sz Müllmänner finden an einem ruhigen Sonntagmorgen, es ist der 4.November 1990, auf dem Ulmer Münsterplatz die völlig entstellte Leiche des Musikstudenten Rafael Blumenstock. Bis heute ist der brutale Mord ungeklärt. Allein die Erinnerung bringt die Donaustadt in Wallung: „Der Mord an Rafael Blumenstock ist eine schwärende Wunde der Stadt Ulm“, beschreibt Jürgen Widmer, Redakteur der „Schwäbischen Zeitung“, der Blumenstock persönlich gekannt hat, „wir waren alle damals ungeheuer schockiert.“
Die kleine Steinplatte auf dem Münsterplatz, die heute an das Opfer erinnert, lässt den Betrachter die Dramatik der Tat nicht ansatzweise erahnen. Denn die Leiche des 28-jährigen Mannes, die an jenem November-Sonntag zwischen Blumen-kübeln und einem geparkten Auto in der Nähe des heutigen Kaufhauses Abt entdeckt wird, stellt die Polizei vor eine schreckliche Aufgabe. Das Gesicht ist bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Die Ermittler zählen am ganzen Körper 21 Stich- und Schnittverletzungen. Dabei wäre jeder der drei Messerstiche ins Herz für sich tödlich gewesen. In der Gerichtsmedizin werden Spuren von massiver Gewalt wie Fußtritte oder Faustschläge festgestellt. Auch die Genitalien des Opfers sind verletzt, die Nasenspitze abgeschnitten. Der Musikstudent ist durch die Misshandlungen so entstellt, dass er erst von seinen Eltern identifiziert werden kann. Es braucht einen Tag, bis klar ist, wer der Ermordete ist.
Es waren mehrere Täter
Die Polizei ermittelt in alle Richtungen. Das einzige Indiz, den Teilabdruck einer Handfläche, stellt die Polizei an einem Auto sicher, das unweit des Tatorts geparkt war. Unklar ist, ob dieses Indiz etwas mit der Tat zu tun hat. Das „extrem brutale Vorgehen der Täter“ schockt auch erfahrene Kripobeamte. Schnell ist ihnen klar, dass hier mehrere Täter am Werk gewesen sein müssen.
Doch welches Motiv steckt hinter der Tat? „Motive führen zum Täter“, sagt Herbert Kling (56), heute Leiter des Kriminaldauerdienstes im Polizeipräsidium Ulm und seinerzeit Ermittler im Mordfall Blumenstock.
Bilder zeigen einen sympathischen jungen Mann mit dunklen, welligen Haaren. „Der Rafael war ein bunter Vogel in Ulm“, erinnert sich der Journalist Widmer, „er fiel in der Stadt einfach auf.“ Der Musikstudent, er verdiente sich als Klavierlehrer Geld für sein Studium, habe mit den Geschlechterrollen gespielt „und trat auch schon mal mit grell geschminkten Lippen auf.“ Die Frage in einem Facebook-Forum vor einigen Tagen, ob sich jemand an Blumenstock erinnert, bestätigt Widmers Einschätzung und löst eine wahre Flut der positiven Emotionen aus: „War immer gut drauf“, „der hat immer gesungen im Bus und auf der Straße.“
Blumenstock galt aber auch als Einzelgänger, der oft nachts alleine unterwegs war: „Er saß immer in der Kneipe nebenan, meistens mit Kopfhörer, für sich allein“, schreibt ein Facebook-User.
Der Student konnte bei seinen Streifzügen spontan auf andere fremde Menschen zugehen: „Er hat sie angesprochen und angemacht“, vermutet der Kripobeamte Kling, „in dieser Nacht ist er einfach an die Falschen geraten.“ Der Erste Kriminalhauptkommissar glaubt, dass das Motiv für den Mord an dem 28-jährigen Studenten in dessen unkonventionellem Verhalten zu suchen sein könnte. Aber: „Wir bewegen uns hier im Bereich der Spekulation.“ Vermutungen zum möglichen Tathintergrund tauchen auf: Stammt einer der Fußtritte nicht von einem Springerstiefel? Die rechtsradikale Szene ist in jener Zeit in Ulm aktiv. Oder handelt es sich um einen Raubmord? „Kann man ausschließen“, hält der Polizist Kling dagegen. Eine Tat in der Schwulenszene, der das Opfer zugerechnet wird? „Die Stadt war damals miefig, kleinbürgerlich, eng: kein Vergleich zu heute“, sagt der Journalist Widmer. Ein seltsames Klima habe geherrscht: „Schon allein die Erwähnung der Schwulenbewegung in Ulm mit dem Namen Schwulm löste Entrüstungsstürme aus.“
Viel ist über die letzten Stunden Blumenstocks nicht bekannt. Im Nachtlokal Aquarium besucht er am Abend vor seinem Tod ein Konzert des Sängers Percy Sledge („When a man loves a woman“). Danach verliert sich seine Spur.
Vermutlich sind mehrere Männer an dem Mord beteiligt, weil eine Wohnmobil-Touristin am Münsterplatz – damals fahren dort noch Autos – am Morgen des 4. November 1990 immer wieder Schreie hört. Als sie aus dem Fenster schaut, sieht sie drei Männer, die in einem Sportwagen wegfahren. Ob diese Männer etwas mit der Tat zu tun haben, ist nach wie vor unklar. Ein anderer Zeuge nennt der Polizei zwei jüngere Männer, die an jenem Morgen an einem roten Auto auf dem Münsterplatz stehen – just, als das spätere Opfer durch die Platzgasse in Richtung Münsterplatz läuft.
Das Entsetzen in der Bevölkerung über die Tat ist groß, zumal nie gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass Rafael Blumenstock wegen seiner angeblichen sexuellen Neigung sterben musste. Bürger trauern und ziehen in einem Protestmarsch durch Ulm. Auf dem Ulmer Hauptfriedhof hält Pfarrer Paul Dieterich, ein Freund der Familie, die Grabrede: „Uns hat das Entsetzen darüber gepackt, auf welch abscheuliche Weise ein Mensch zu Tode gebracht wurde, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte“, bekennt der Theologe: „Da packt uns eine tiefe Scham darüber, dass so etwas in unserer Stadt möglich wurde.“
Wenig verwertbare Spuren
Die Soko „Münsterplatz“ mit 40 Beamten prüft alle Spuren und geht selbst dem kleinsten Hinweis nach, doch die Täter bleiben letztlich im Dunkeln. „Die Aufklärung scheiterte bisher unter anderem auch daran, dass wir sehr wenig objektiv verwertbares Spurenmaterial zu diesem Mordfall zur Verfügung haben“, begründet Ermittler Kling.
Jahre später. Auch Hinweise eines Jugendbetreuers führen nicht weiter. Gewaltbereite Jugendliche hätten ihm die Tat angekündigt, sagt der Sozialarbeiter: Blumenstock werde einen Denkzettel bekommen. Doch die Polizei kann den jungen Leuten nichts nachweisen.
Die schwärende Wunde der Stadt bricht von Zeit zu Zeit auf. Als der Münsterplatz neu gestaltet wird, fällt die Entscheidung für eine Bodenplatte. Passanten sollen nicht achtlos vorbeigehen. Die mit Rafael Blumenstocks Vater abgesprochene Inschrift „Du lebst in unserer Klage, im Herzen stirbst du nicht“ erinnert an den Mord.
Sprung ins Jahr 2000. Die Kriminaltechnik hat sich entwickelt. DNA-Spuren, die an der Leiche gesichert worden waren, aber nicht vom Toten stammten, werden mit neuen Methoden ausgewertet. „Aber wir wissen nicht, von wem die DNA-Partikel stammen“, warnt der Kriminalist Kling, „sie können, aber sie müssen nicht vom Täter stammen.“
Die Polizei nimmt den Fall wieder ganz von vorne auf. Wer auch nur entfernt zum Kreis der Verdächtigen gehört hatte, wird erneut überprüft. 180 Männer müssen sich dem Gentest stellen. Aber auch der genetische Fingerabdruck führt nicht zu den Mördern von 1990.
Bei der Staatsanwaltschaft Ulm liegen die Blumenstock-Akten bis heute griffbereit. Denn Mord verjährt nicht. Die möglichen DNA-Beweisstücke werden immer routinemäßig mit neuen Spuren abgeglichen: „Die DNA könnte sich immer noch als Mosaiksteinchen bei der Suche nach den Tätern erweisen“, sagt ein Sprecher.
Doch einen Rückschlag müssen Familie, Freunde und die Ulmer Ermittler erst jüngst hinnehmen. Der Fall Blumenstock gehört nicht zu den Fällen, die die Polizei wieder aufnehmen will: „Die Polizeiführung hat entschieden, nur Fälle mit Aussicht auf Erfolg nochmals zu öffnen“, sagt der Ulmer Polizeisprecher Wolfgang Jürgens. Und der Mordfall Blumenstock sei aus heutiger Sicht ausermittelt. Aber Ermittler Kling glaubt daran, dass irgendwann einer der Täter oder Mitwisser sich der Polizei offenbart: „Man hat automatisch die Bilder vor sich, die Bilder vom Opfer, die Bilder der Angehörigen.“ Niemand könne mit der Macht dieser Bilder leben, ohne irgendwann zu reden. „Das gilt für Kriminalisten wie für Täter oder Zeugen.“
Ungelöste Mordfälle im Südwesten
Nicht alle Verbrechen können die Ermittler kurz nach der Tat lösen - manchmal läuft bei Tötungsdelikten alle Polizeiarbeit ins Leere. Aber ungelöste Morde beschäftigen die Polizei noch nach Jahren und Jahrzehnten.
Hier einige spektakuläre Fälle:
Der Laichinger Blumenhändler: Der Mordfall „Laichinger Blumenhändler“ ist seit mehr als vier Jahren ungelöst. Im Oktober 2011 war ein 44-jähriger Blumenhändler in der Nähe seines Geschäfts in Laichingen bei Ulm mit mehreren Schüssen ermordet worden. Die Sonderkommission „Blume“ aus Ulm war zeitweise mit 50 Beamten im Einsatz. Ende 2011 war eine Tatverdächtige aus dem familiären Umfeld des Opfers wieder freigelassen worden. Es sei weiterhin davon auszugehen, dass die Tat aus persönlichen Motiven aus der Verwandtschaft begangen wurde, hieß bei der Einstellung der Ermittlungen im Jahr 2013. Anhaltspunkte für einen rassistischen oder politisch motivierten Hintergrund hätten sich nicht ergeben. Insgesamt seien bei den Ermittlungen mehr als 600 Vernehmungen, auch in der Türkei und Frankreich, geführt und deutlich mehr als 100 Spuren überprüft worden. Das Opfer war kurdischstämmig.
Maria Bögerl: Die Bankiersgattin wird im Mai 2010 aus ihrem Haus in Heidenheim entführt. Ein bisher Unbekannter fordert 300 000 Euro Lösegeld. Die Geldübergabe an einer Autobahn scheitert; am 3. Juni wird Maria Bögerl tot in einem Waldstück aufgefunden. Die Ermittler treten auf der Stelle. Sowohl die Fahndung im Fernsehen als auch ein Massengentest bringt die Ermittler nicht weiter. Auch die Hinweise eines dubiosen Zeugen im Februar diesen Jahres bringen nichts Neues.
Anja Aichele: Der Mord an der 17-jährigen Anja Aichele aus Stuttgart-Bad Cannstatt beschäftigt die Ermittler seit fast drei Jahrzehnten. Die Schülerin wird am 27. März 1987 gegen 22.00 Uhr auf dem Nachhauseweg von einem Jugendtreffen erwürgt. Drei Zeugen geben unabhängig voneinander an, sie hätten zu dieser Zeit einen Schrei im Weinberg unterhalb des Wohngebiets Muckensturm gehört. Ihre Leiche wird drei Tage später gefunden - vergraben in einem Beet. 60 Ermittler sammeln mehr als 4000 Hinweise - ohne Erfolg. Im Jahr 2008 und 2012 werden zum Teil wegen neuer Spuren rund 1200 Männer getestet - ohne Ergebnis.
Christine Piller: Die 19-Jährige aus Aglasterhausen (Neckar-Odenwald-Kreis) wird am 22. März 1986 erstochen in einem Wald bei Gundelsheim (Kreis Heilbronn) gefunden. Anfang des Jahres keimt nochmals Hoffnung auf, als Ermittler von neuen Ansatzpunkten berichten. Auch diese Untersuchungen verlaufen im Sande. Der Täter ist bis heute nicht gefasst.
Doppelmord in Mannheim: Ein mysteriöser Doppelmord in Mannheim beschäftigt die dortigen Ermittler seit über zwei Jahren. Am 13. Mai 2013 werden ein 45 Jahre alter Mann aus Italien und seine 42-jährige thailändische Lebensgefährtin im Stadtteil Kirschgartshausen erschossen. Rund 400 Spuren, die zum Teil auch in die organisierte Kriminalität führen, werden ohne Ergebnis verfolgt. „Wir wissen weiterhin nichts Neues“, erklärt ein Sprecher. „Aber ad acta gelegt werden solchen Fälle nie.“
http://www.schwaebische.de/region/baden ... 34355.html
Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben. (Indianische Weisheit)
I stand with Ukraine
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